Mittwoch, 11. Juli 2012

Die Halbwertzeit von provinzieller Stadtpolitik in der Landeshauptstadt Hannover

Erst war Amazon - auch wenn der Namen halbherzig vermieden wurde - angeblich das beste Unternehmen der Welt. Der Investor sei herzlich willlkommen und die Stadt zu vielen Zugeständnissen bereit. Nun ist Amazon plötzlich der Buhmann. Nachvollziehbare Kritikpunkte an dem Unternehmen wurden stets beiseite gewischt und als unerwünscht weggebüggelt. Die Initiative pro.kronsberg - Mensch, Natur, Zukunft hat sich eben stets nicht als Amazon-Gegner positioniert, auch wenn die Lokalpresse dies gerne so plakativ darstellte. Der Name der Initiative ist kein Zufall und war bewusst nicht gegen das erfolgreiche US-Unternehmen gerichtet.

Es ist erstaunlich und bemerkenswert wie schnell sich die Stadtpolitik parteiübergreifend vom blind befürwortenden Amazon-Freund sowie bedingungslosen Mönningweil-Folgern - quasi über Nacht - zum absoluten Amazon-Kritiker wandelt.

Die Anwohner haben über die Initiative von Anfang an davor gewarnt, dass der weltweit führende Onlineversender anders verhandelt als die regionalen Kommunalpolitiker es bisher gewohnt waren. Amazon hat sich verhandlungslogisch genau so verhalten, wie es vorhersehbar war. Die Stadt agierte unprofessionell und nicht auf Augenhöhe mit dem Unternehmen. Die mängelbehaftete Umsetzung des Ansiedlungsvorhabens durch die Verwaltung trug ebenfalls zu der zögerlichen Haltung bei. Eine erfolgskritische Investition von 100 Millionen Euro will sicherlich nicht alleinig auf nicht validierten Zusagen und Gutachten der Stadt Hannover begründet sein. Amazon hat sich dagegen eben nicht von dem fehlerhaften und z.T. rechtswidrigen Gutachten blenden lassen und prüfte völlig zu Recht die blumigen Zusagen der Stadt.

Die Mängel sind übrigens noch allesamt vorhanden, nicht geheilt und potenzielle Klagebasis gegen eine Baugenehmigung, die nun für eine dreistufige Ansiedlung von NETRADA erteilt werden soll.

Es ist schon so wie Wirtschaftsminister Bode (FDP) darstellt. Eine Ansiedlung von NETRADA sei durchaus auch in der Region möglich. Warum dann die Ansiedlung weiterhin ausgerechnet auf dem Filtestück am Landschaftsschutzgebiet und gegenüber der Messe sein soll, entzieht sich dem informierten Bürger. Die von den Naturschutzverbänden aufgezeigten negativen Auswirkungen auf dem Kronsberg und den Stadtwald der Eilenriede, hier insbesondere der Seelhorst, werden weiterhin negiert. Es geht wohl eher darum, die bereits verausgabten 3 Millionen Euro zu rechtfertigen mit der die Stadt hier in Vorlage gegangen ist.

 
Die widersprüchliche Argumentationskette von den Herren Weil und Mönninghoff bricht nun vollständig in sich zusammen


Der Oberbürgermeister und sein Wirschafts- und Umweltdezernent tragen für die bereits investierten Millionen die politische Verantwortung.

Es gibt keine nachvollziehbare Begründung, warum sich NETRADA ausgerechnet an dieser Stelle ansiedeln soll. Entsprechend der Klassifizierung durch die Region Hannover im Logistikkonzept 2020 wurde diese Gewerbefläche als nicht besonders geeignet für Logistikansiedlungen eingestuft. Hinzukommt die Problematik mit der angrenzenden Giftmülldeponie und dem nicht auszuschließenden Gefahrstoffverzug in das Wohngebiet. Für die nachweisbaren Folgen würde, ohne ausdrückliche Risikoübernahme durch die Stadt Hannover, NETRADA als Störer haften. Die aufgezeigten Probleme sind alle ungelöst. NETRADA ist für den Landtagskandidaten Herrn Weil die billige Ersatzlösung, und ein allzu durchsichtiger Versuch, seinen politischen Kopf zu retten. Erstmal sollte aufgezeigt werden, warum NETRADA seine vorhanden Logistikzentren aktuell nicht auszulasten vermag. Vermutlich wird NETRADA kaufmännisch nachvollziehbar für die neue Immobilie eine Kapitalgesellschaft gründen und das Gebäude von ihr mieten. Der Punkt Insolvenz sollte hier für die Stadtpolitik kein tabu-behaftetes Szenario darstellen und in die Überlegungen einer möglichen Vorsorge für eine Nachnutzung mit einbezogen werden.


Was ist das Wort eines Oberbürgermeister noch wert?

Am 13. Oktober 2011 sagte der Oberbürgermeister Weil öffentlich, vor laufender Kamera und Publikum unmissverständlich, dass die Bauleitpläne (Flächennutzungs- und Bebauungsplan), falls der Investor für ein internationales Großunternehmen (= Amazon) nicht kommen sollte, nicht geändert werden und wieder in die Schublade wandern. Und nun, 9 Monate später? Amazon ist vom Tisch und die zwischenzeitlich nicht mehr vorhabenbezogene Änderung der Bauleitpläne liegen zum Beschluss vor. Für den Bürger stellt sich dies zweifelsfrei als Wortbruch dar.

Der Zweck ist entfallen und der Ersatzzweck heiligt ebenfalls nicht die Mittel. Genau diese Person, die es mit den eigenen Aussagen nicht so genau nimmt, bewirbt sich nun um den Job des Ministerpräsidenten.


Text: Jens Fleischhacker